Nach unseren Recherchen war im März 2011 eine Petition “Nein zur Schuldenbremse” in Hessen geplant. Gleich zwei Seiten auf Facebook geben Hinweise dazu. Es wurde versucht, eine Plattform “Handlungsfähiges Hessen” zu gründen. Aus diesem Testlauf ist anscheinend das “Bündnis handlungsfähiges Hessen” entstanden. Dieses beschrieb sich als offenes Aktionsbündnis gegen die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Hessische Verfassung. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben um einen breiten zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Zusammenschluss verschiedener Organisationen. Dieses Bündnis hatte im März 2011 das Ziel, die gemeinsame Position “Nein zur Schuldenbremse” offensiv und lautstark zu vertreten. Hier sollte offenbar die Petition ein Mittel zur Unterstützung sein.
Dieses Bündnis war der Initiator der Petition. Die FB-Seite ist noch sehr sporadisch aktiv. Einträge alle paar Jahre, der letzte von 2020. Die angegebene Internetseite dazu gibt es nicht mehr. Es gibt keinerlei Angaben darüber ob und wie viele Unterschriften gesammelt wurden. Was war hier los?
Volksabstimmung statt Online-Petition?
Im März 2011 war sehr viel los in Hessen. Doch gibt es keine Hinweise dafür, dass tatsächlich eine Online-Petition gegen die Schuldenbremse in Hessen durchgeführt worden wäre. Aber es gibt umfangreiche Informationen darüber, was tatsächlich passiert ist. Im März 2011 war eine Aufnahme einer Schuldenbremse in die Hessische Verfassung geplant. Das war der Grund für den Aktivismus im März in Hessen. So veröffentlichte der Deutsche Gewerkschaftsbund Bezirk Hessen-Thüringen (Jugend) den Aufruf zu einer Demonstration, am 19. März in Darmstadt, gegen die geplante Einführung einer Schuldenbremse.
Nach unseren Recherchen war am 27. März 2011 eine Volksabstimmung zur Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung geplant. Noch vor dieser Abstimmung wollte das Bündnis handlungsfähiges Hessen anscheinend mit der Petition klar Position dagegen beziehen. Dies dürfte aber nicht umgesetzt worden sein. Stattdessen gab es Diskussionsveranstaltungen zur Schuldenbremse, auch teilweise online mit Live-Stream.
Über die Volksabstimmung 2011 in Hessen
Die Landesregierung wollte im Jahr 2011 eine Schuldenbremse in die hessische Verfassung schreiben lassen. Hier gab es einige Gruppen, die dagegen mobil machten. Es wurde zum Beispiel in Frage gestellt, ob diese Entscheidung im Sinne der hessischen Jugend war. Inhalt der Schuldenbremse war, dass das Land Hessen ab dem Jahr 2020 keine Schulden mehr machen hätte dürfen. Am 27. März gab es schließlich einen Volksentscheid darüber.
Während die Landesregierung die Schuldenbremse damit befürwortete, der Jugend keinen Schuldenberg hinterlassen zu wollen, hatten die Gegner Bedenken, damit der Jugend auch die Chancen auf Entwicklung zu nehmen. Die Landesregierung sprach von einer Generationengerechtigkeit durch die Einführung der Schuldenbremse. Es wurde befürchtet, dass die massiven Einsparungen in Hessen zu kaputten Straßen, baufälligen Schulen und viel zu teuren Kindergärten führen würden. Ebenfalls glaubte man daran, dass das Geld für Bibliotheken, Schwimmbäder und gute Bildung in Folge fehlen würde. Immerhin begründete die damalige Kultusministerin eine Budgetkürzung von € 80 Millionen mit dieser Schuldenbremse. Deshalb waren die Ängste groß, dass auch viele weitere Sozialkürzungen auf die Bevölkerung zukommen würden.
So warb man um Stimmen für ein Hessen mit:
- Schulen, Kindertagesstätten, Bibliotheken, Kultureinrichtungen und Schwimmbäder für alle kostenfrei und gut ausgestattet
- Straßen und Infrastruktur in gutem Zustand
- Krankenhäuser mit gut ausgebildetem Personal und neuester Technik
Die Gegner der Schuldenbremse schlugen vor, dass die Landesregierung sich mehr Gedanken machen müsse, wie die Kassen gefüllt werden, anstatt dringend notwendige Ausgaben zu streichen. Doch die Landesregierung sprach sich damals dafür aus, die Sanierung der Finanzen ohne Steuererhöhungen erreichen zu wollen.
Volksabstimmung führt zu Verfassungsänderung Hessen
Die hessischen Bürgerinnen und Bürger haben am 27. März 2011 über die Schuldenbremse entschieden. 70 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich für eine Erweiterung der Verfassung mit einer Schuldenbremse aus. So wurde im Artikel 141 der hessischen Verfassung festgelegt, dass ab dem Jahr 2020 ein strukturelles Neuverschuldungsverbot besteht. Dies dürfe lediglich zum Ausgleich konjunktureller Schwankungen, bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen umgangen werden. Diese Neuverschuldung im Ausnahmefall müsse jedoch zwingend mit einer Tilgungsregel verbunden sein.
Weiters wurde vom Hessischen Landtag zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Vorgaben ein Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse verabschiedet. Dieses orientiert sich an den Regelungen auf Bundesebene. In dem neuen Gesetz sind unter anderem das Verfahren zur Ermittlung des konjunkturellen Einflusses auf den Landeshaushalt sowie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahmetatbestände geregelt.
Die Auswirkung der Schuldenbremse
Laut eigenen Angaben haben die Vorgaben der Schuldenbremse zu einer nachhaltigen Konsolidierung des Landeshaushalts beigetragen. So war es erstmals seit 1969 möglich, auf die Nettokreditaufnahme zu verzichten. Zudem wurden erstmals bestehende Altschulden des Landes in der Höhe von 200 Millionen Euro getilgt. Dieser Schuldenabbau wurde von 2017 bis 2019 mit jährlichen Tilgungen von je 200 Millionen Euro sogar noch weiter geführt.
Mit der Corona-Pandemie trat dann der Ausnahmefall ein. Das Land Hessen musste wieder neue Schulden aufnehmen, um den konjunkturellen Einbruch sowie die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie bewältigen zu können. Der Art 141 Abs. 4 der Hessischen Verfassung in Verbindung mit §2 des Artikel 141-Gesetzes lautet: „bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen” ist eine neue Kreditaufnahme zulässig.
Dafür benötigte man einen Beschluss des Landtags, der für diesen Zweck Einnahmen aus Krediten gestattet, sowie einen damit verbundenen Tilgungsplan. Am 4. Juli 2020 hatte der Hessische Landtag diese außergewöhnliche Notsituation festgestellt.